Drogenprävention: "Aufklärung und Information ist nicht alles"

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Alain Origer ist nationaler Drogenbeauftragter.  Er beantwortet die Fragen von EDI-Infomagazin fir Elteren. Lesen Sie die letzte EDI-Ausgabe hier.    

Inwiefern sind Jugendliche von der bevorstehenden Entkriminalisierung des Cannabiskonsums betroffen?

Alain Origer: "Cannabis und allgemein Drogen sind keine Erfindung der Neuzeit und auch Gesetze zum Umgang mit Drogen existieren schon eine Weile. Eine Anpassung im Laufe der Zeit scheint daher normal, da sich neben dem Menschen auch Drogen und deren Konsummuster weiterentwickeln.

Bei bei der Einschätzung des Einflusses, den eine derartige Gesetzgebung auf das Ausmaß des Drogenkonsums hat, sollte man allerdings bedenken, dass es keine eindeutige, kausale Beziehung zwischen der Härte einer Strafe und dem Drogenkonsum gibt. Dies heißt mit anderen Worten, dass eine mehr oder weniger repressive Ausrichtung solcher Gesetze nicht unbedingt bedeuten muss, dass der Konsum an Cannabis in der Gesellschaft oder in einer Alterskohorte sinkt.

Wenn Sie sich z.B. in der EU umschauen, werden Sie feststellen, dass es nicht unbedingt die Länder mit den schärfsten Betäubungsmittelgesetzen sind, die zum Beispiel die niedrigsten Konsumwerte von Cannabis aufzeigen. Manchmal ist sogar das Gegenteil davon der Fall. Es braucht eben neben einer Gesetzgebung noch mehr, um menschliche Bedürfnisse, Wünsche, Neugier oder Leidensdruckbewältigung grundlegend zu beeinflussen oder gar zu ändern.

Wie ein Mensch mit Cannabis, Alkohol oder anderen bewusstseinsverändernden Substanzen umgehen kann oder wird hängt deshalb nicht zuletzt von dieser Person selbst ab : Wie ist seine mentale Verfassung, welche Ressourcen besitzt er, kennt er seine eigenen Grenzen, kennt er gesetzliche Grenzen, wie beinflussbar ist er, wie verfügbar sind die Substanzen, er zu seinem Umfeld und sein Umfeld zu diesen Substanzen und nicht zuletzt, wie gut ist er informiert über Wirkung, Nebenwirkungen und Risiken.

Es gilt jedoch auch eine weitere Vielzahl anderer Aspekte im Auge zu behalten, wie zum Beispiel Änderungen in der sozialen Akzeptanz verschiedener Substanzen und deren Gebrauch, die allgemeine Risikoeinschätzung und die Konsummuster betreffend Cannabis oder anderer Substanzen in verschiedenen Altersgruppen sowie die allgemeine Entwicklung des illegalen Substanzangebots. Aus diesem Grund wird zurzeit intensiv daran gearbeitet, vielschichtige Indikatoren zu entwickeln, um diese Änderungen aufzuzeigen und zu messen, damit entsprechend Kursänderungen oder Anpassungen vorgeschlagen und vorgenommen werden können.

Abschließend möchte ich hinzufügen, dass juristische Begriffe für den Bereich des Drogenkonsums oder der -kriminalität gelegentlich undifferenziert angewendet werden und zusätzlich in verschiedenen Sprachen eine veränderte Bedeutung haben können. Wenn man beispielsweise vom Begriff der „Entkriminalisierungdes Cannabis spricht, möchte ich daran erinnern, dass schon 2001 eine solche an verschiedene Bedingungen geknüpfte „Entkriminalisierung“ des Cannabisbesitzes in Luxemburg stattgefunden hat. Es wurde beispielsweise das Strafmaß für den Besitz von Cannabis für den Eigenkonsum herabgesetzt. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass dies zu einer kollektiven Empörung oder einer Explosion in Bezug auf Cannabiskonsum bei jungen oder weniger jungen Menschen geführt hat."

Welche Risiken birgt der Cannabiskonsum für Jugendliche?

Alain Origer: "Cannabiskonsum so wie der Konsum anderer legaler oder illegaler Rauschmittel, birgt verschiedenartige Gefahren, deren Ausdruck und Ausmaß jedoch von einer Vielzahl von Faktoren abhängt wie z.B. dem Alter des Konsumenten, gesundheitlichen Veranlagungen, der mentalen Verfassung, der Qualität des Produktes und des Ausmaßes des Konsums. Es gibt in diesem Sinne auch keine absolute, universal gültige Risikoschwelle.

Ein nicht zu vernachlässigender Faktor darüber hin aus ist die Reifung und Entwicklung des menschlichen Gehirns, welche sich bis ins frühe Erwachsenenalter zieht. Rauschmittel können diese Entwicklung negativ beeinflussen. Ein einzelner Trip in jungen Jahren kann zu einem lebenslangen Wattehirn und einer notwendigen Unterbringung führen. In diesem Sinne ist es in jeder Hinsicht empfehlenswert, eine eventuelle Drogen-Neugier auf erwachsenere Jahre zu verschieben.

Ferner gilt es zu beachten, dass die Cannabisprodukte von heute nicht die gleichen sind wie vor 10-15 Jahren. Es haben sich eben nicht nur Mobiletelefone deutlich geändert. Allein der durchschnittliche Gehalt an THC, dem Hauptwirkstoff des Cannabis, hat sich in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt und es werden zunehmend Cannabisprodukte entdeckt, denen synthetische Wirkstoffe beigemischt wurden. Dies macht die steigende Anzahl an unbekannten, unkontrollierbaren Produkten gefährlich, da die Risiken ihres Konsums weit weniger einschätzbar und therapierbar sind, als altbekannte Produkte."

Wie sieht ein aufgeklärter Umgang mit diesem Konsum aus?

Alain Origer: "Kurz gesagt: Aufklärung/Information ist nicht alles.

Es reicht nicht aus, jungen Menschen Wissen über Drogen und Sucht zu vermitteln in der Hoffnung, dass sie zu verantwortungsvollen, aufgeklärten, ausgeglichenen und gegebenenfalls abstinenten Mitgliedern der Gesellschaft heranwachsen. Wissen allein reicht leider nicht aus, um ein Verhalten zu erzeugen, obwohl dies wünschenswert wäre. Es fehlen weitere Zutaten für diese Entwicklung.

Auch der Begriff „Cannabisprävention“ ist in meinen Augen eher ungeeignet. Warum die Beschränkung auf nur eine Substanz? Warum genau diese und kommen noch andere? Der mehr oder weniger ausgeprägte Reiz, Wunsch oder Drang, sich gelegentlich auf eine andere Bewusstseinsebene zu begeben, ist im Menschen latent vorhanden. Dieses an einem einzelnen Hilfsmittel oder Verhalten wie z. Bsp. am Konsum einer einzelnen Substanz festmachen zu wollen, ist meiner Meinung nach zum Scheitern verurteilt.  

Aufklärung sollte meines Erachtens einen ganzheitlichen, holistischen Ansatz verfolgen, welcher über eine reine Informationsvermittlung hinausgeht. Sie sollte jungen Menschen helfen, sich kritisches Denken, emotionale Ressourcen und Lebenskompetenzen anzueignen, und ihre eigenen Stärken und Schwächen kennenzulernen. Sie sollte ihnen dadurch erlauben, sich mit einer wachsenden Resilienz an der Realität zu reiben und mögliche Rückschläge reflektiert zu verarbeiten, wenn sie sich den vielzähligen Reizen, Versuchungen und Herausforderungen des Lebens stellen.

Ein Mensch, jung oder ehemals jung, der sich in seiner eigenen Gefühlswelt nicht wiederfindet oder nicht wohlfühlt neigt dazu, dies ändern zu wollen oder diesem zu entfliehen. Er wendet dazu ganz verschiedene Strategien an, kurz- oder langfristige, von denen einige durchaus dysfunktional sein können, wie zum Beispiel problemgenerierender Substanzmissbrauch.

Aufklärung sollte in diesem Sinne ein dynamischer Prozess sein, in dem eine Vielzahl von Akteuren langfristig gefordert sind, um erworbenes Wissen förderlich zu leben."

Kontext

Die Regierung plant, die Gesetzgebung zu Konsum und Produktion von Freizeit-Cannabis für Volljährige anzupassen und zu lockern. Eine Lockerung ist allerdings kein Freibrief, sondern geht Hand in Hand mit Rechenschaftspflicht, Sensibilisierung und Prävention, schon bei Kindern und Jugendlichen. 

Die Regierung fokusiert sich sowohl mit dem Aktionsplan 2020-2024 zu Drogen und Abhängigkeiten als auch dem Nationalen Jugendaktionsplan (Jugendpakt) 2022-2025 auf das ganzheitliche Wohlergehen junger Menschen.  

Die Prävention konzentriert sich auf drei Handlungsfelder :

  • Wissen und Kenntnisse über die relevanten Substanzen vermitteln;
  • sozio-emotionale Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen entwickeln und festigen: die eigenen Stärken und Schwächen kennen; Selbstvertrauen aufbauen; Autonomie und einen kritischen Geist demonstrieren; gewissenhaft Entscheidungen treffen usw.
  • sichere und förderliche Räume und Strukturen entwickeln (Schulen, Jugendzentren, Sportvereine, Pfadfinder usw.), in denen Kinder und Jugendliche wachsen, gedeihen und die richtigen Reflexe im Umgang mit Risiken entwickeln können.

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